Hinweis: Der folgende Text ist ein Gastbeitrag. Er gibt die persönliche Auffassung der Autorin beziehungsweise des Autors wieder. Der Beitrag ist keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums für Gesundheit.
Gastbeitrag: Karin Maag
Eine schnellere und bessere Versorgung sicherstellen
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird voraussichtlich im Dezember 2023 Regelungen zu strukturierten Versorgungspfaden bei postinfektiösen Syndromen wie Long COVID beschließen. Wie der Stand der Beratungen ist, beschreibt Karin Maag, unparteiisches Mitglied des G-BA.
Veröffentlicht am 07.09.2023
Was ist unser Auftrag?
Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf postinfektiöse Syndrome wie Long COVID sollen besser und schneller versorgt werden – bundesweit und unabhängig davon, in welcher gesetzlichen Krankenkasse sie versichert sind. Der Gesetzgeber hat entsprechend den G-BA als höchstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung beauftragt, verbindliche Versorgungspfade für alle Versicherten zu beschreiben, bei denen der Verdacht auf Long COVID besteht.
Als Richtschnur gab der Gesetzgeber dem G-BA mit auf den Weg, dass es eine „berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung“ sein solle. Der G-BA könne dabei Regelungen treffen, die eine „interdisziplinäre und standardisierte Diagnostik“ und einen zeitnahen Zugang zu einem „multimodalen Therapieangebot“ sicherstellen. Erfreulicherweise wurde im Gesetzgebungsverfahren unserer Anregung gefolgt, dass wir die neue Richtlinie auch für Versicherte öffnen können, bei denen zwar kein Verdacht auf Long COVID besteht – aber auf eine Erkrankung, die wie zum Beispiel die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) eine ähnliche Ursache oder Symptomatik hat. Auch für diese Patientinnen und Patienten fehlt es an der erforderlichen flächendeckenden interdisziplinären und standardisierten Diagnostik und einem zeitnahen Zugang zu einem multimodalen Therapieangebot. Verankert ist der gesetzliche Auftrag des G-BA in § 92 Abs. 6c SGB V.
Wo liegen die Herausforderungen?
Dass es diesen Auftrag an den G-BA gibt, begrüßen wir ausdrücklich, denn auch wir sehen, wie groß der Bedarf an gezielten, multimodalen Therapieangeboten für die Betroffenen ist. Zugleich haben wir bereits im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen, dass es für die Diagnose postinfektiöser Syndrome wie Long COVID bislang keine verlässlichen Marker oder Untersuchungsergebnisse gibt. Kausale Therapien und qualitativ hochwertige medizinische Leitlinien fehlen ebenfalls. An der schmalen wissenschaftlichen Erkenntnislage hat sich leider noch nicht viel geändert, auch wenn die Forschungsanstrengungen deutlich gewachsen sind. Der Innovationsfonds beim G-BA stellt deshalb für den „Forschungsschwerpunkt Long COVID“ des BMG 20 Millionen Euro zur Verfügung.
Trotz der schmalen Erkenntnislage – beziehungsweise gerade deshalb – ist der Bedarf an strukturierten Versorgungspfaden groß. Die aktuelle Erkenntnislage ist jedoch nicht nur für die Betroffenen schwierig. Sie stellt natürlich auch den G-BA, der ja gerade Empfehlungen für ein strukturiertes und evidenzbasiertes Vorgehen – von der Diagnose bis zu verschiedenen Behandlungsstufen – erarbeiten soll, vor Herausforderungen.
Wie ist der Stand der Dinge?
Angesichts der derzeit fehlenden Erkenntnisse zu einer sicheren Diagnose und einer guten Therapie hat sich der G-BA dazu entschlossen, den Gesetzesauftrag schrittweise umzusetzen. Im ersten Schritt geht es vor allem darum, spezifische Anforderungen an die vorhandenen Versorgungsebenen nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche, die je nach Art, Schwere und Komplexität der Erkrankung infrage kommen, zu beschreiben: haus- und kinderärztliche Versorgung, fachärztliche Versorgung sowie spezialisierte ambulante Versorgung. Skizziert werden beispielsweise die Aufgaben der beteiligten Leistungserbringer. Ein besonderes Augenmerk haben wir dabei auf eine koordinierte und strukturierte Zusammenarbeit dieser beteiligten Leitungserbringer gelegt: Patientinnen und Patienten sollen dabei auf weitgehend einheitlichen Behandlungspfaden vor allem deutlich schneller zu den entsprechenden Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern geleitet werden. So soll auch eine schnellere Diagnosestellung erfolgen, die dann die passende Therapie ermöglicht.
Wir liegen mit unseren Beratungen gut im Zeitplan und können aller Voraussicht nach im September das Stellungnahmeverfahren zum Richtlinienentwurf einleiten. Neben den im G-BA vertretenen Träger- und Patientenorganisationen erhalten auch Fachgesellschaften und Verbände die Gelegenheit, sich zu den geplanten Regelungen zu äußern. Nach Auswertung der schriftlichen Stellungnahmen und einer mündlichen Anhörung werden wir dann voraussichtlich im Dezember 2023 die neue Richtlinie fristgerecht beschließen.
Angesichts der sich hoffentlich bald verbessernden wissenschaftlichen Erkenntnisbasis ist allerdings bereits jetzt klar, dass der G-BA diese Regelungen weiterentwickeln wird. Nur Regelungen, die dem Stand der medizinischen Kenntnisse entsprechen, können den Ärztinnen und Ärzten als Hilfestellung dienen und dazu beitragen, die Versorgung der jungen und erwachsenen Patientinnen und Patienten wirklich zu verbessern. Das ist der Anspruch, den wir an unsere Richtlinie haben.
Vita
Karin Maag ist seit Juli 2021 unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und Vorsitzende des Unterausschusses, der die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags zu Long COVID vorbereitet. Die generelle Frage, wie man die medizinischen Versorgungsangebote durch gute Strukturen und Prozesse sicherstellen kann, beschäftigte sie aber schon in ihrer vorherigen Position: Die Volljuristin war zwölf Jahre lang Bundestagsabgeordnete, ab 2017 gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Erfahrungen in der Kommunal- und Landespolitik sammelte Frau Maag zuvor unter anderem als Ministerialdirigentin des Landtages Baden-Württemberg und als Leiterin des Oberbürgermeisterbüros der Landeshauptstadt Stuttgart.