Hinweis: Der folgende Text ist ein Gastbeitrag. Er gibt die persönliche Auffassung der Autorin beziehungsweise des Autors wieder. Der Beitrag ist keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums für Gesundheit.
Gastbeitrag: Dr. Daniel Vilser
Der Gastbeitrag von Dr. Daniel Vilser beleuchtet das Krankheitsbild Long COVID aus der Perspektive eines Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin. Seine Forderungen an die Politik umfassen unter anderem eine höhere Dichte an spezialisierten Einrichtungen und die gezielte Förderung von Forschungsprojekten, um den speziellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen sowie der Komplexität des Krankheitsbildes gerecht zu werden.
Veröffentlicht am 04.12.2023
Long COVID bei Kindern und Jugendlichen
Wie Long COVID definiert ist, ist leicht nachzulesen und mittlerweile den meisten bekannt. Was es für die Erkrankten, für deren Familien und auch für diejenigen, von denen Hilfe erwartet wird, bedeutet, wird gerade für die schwer Betroffenen immer noch nicht ausreichend beachtet bzw. gewürdigt. Und wie so oft bei Diskussionen in Deutschland, geraten dabei Gruppen, die eher am „Rand des öffentlichen Interesses“ stehen, in den Hintergrund.
Es würde sicher niemand zugeben, dass Kinder und Jugendliche dort einzuordnen sind und trotzdem müssen Pädiater und Erkrankte permanent darum kämpfen, dass Kinder und ihre speziellen Bedürfnisse nicht ignoriert werden; damit nicht eine Richtlinie für alle Patienten erstellt wird und sich Jugendliche dann mit Regelungen konfrontiert sehen, welche nur bei Mid-Agern und älteren Menschen sinnvoll sind; dass Medikamente und potentielle therapeutische Verfahren auch bei Minderjährigen auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit überprüft werden; dass Behandlungs- und Versorgungszentren unter Berücksichtigung der pädiatrischen Strukturen gefördert werden.
Wie bei Erwachsenen so ist auch bei Kindern und Jugendlichen eine interdisziplinäre und sektorenübergreifende Zusammenarbeit nötig, um der Komplexität dieses Krankheitsbildes gerecht zu werden. Der niedergelassene Kinderarzt übernimmt die Rolle des Hausarztes, die Subspezialisierungen der Pädiatrie stellen die fachärztliche Versorgung dar. Diese wird in den allermeisten Gegenden von einem Kinderkrankenhaus übernommen. Oft erfordert die umfangreiche Diagnostik einen kurzen stationären Aufenthalt. GBA und Politik sind aufgefordert, Strukturen zu schaffen, in denen diese hochkomplexen Fälle von Patientinnen und Patienten, die es in großer Anzahl gibt, behandelt werden können.
Ja, Long COVID tritt umso seltener auf, je jünger die Bevölkerungsgruppe ist: bei den unter 18-Jährigen vermutlich um Faktor 10 seltener als bei den Erwachsenen. Und ebenfalls ja: die Prognose ist besser. Die weitaus meisten Kinder und Jugendliche haben sich nach einem Jahr wieder erholt. Aber 1 Jahr hat für ein 10-jähriges Mädchen eine völlig andere Dimension als für eine 60-jährige Frau. Ein Jahr ohne Teilnahme am Schulunterricht, ein Jahr kaum Treffen mit Freunden, ein Jahr mit wenig oder keinen körperlichen Aktivitäten. Je jünger die Betroffenen sind, umso gravierender sind die Einschnitte in ihre Entwicklung. Ganz davon abgesehen, dass ein fünfstellige Anzahl Jungen und Mädchen verbleibt, die auch darüber hinaus als nicht genesen betrachtet werden müssen. Für die Pädiatrie, in welcher wir es gewohnt sind mit seltenen Erkrankungen zu agieren, eine riesige Patientengruppe.
Was wir brauchen:
Eine höhere Dichte an spezialisierten Einrichtungen. Es ist kaum erträglich, dass nur Minderjährige, die das Glück, haben in der Nähe einer Universität aufzuwachsen, Zugang zur spezialisierten Versorgung bekommen. Hilfe bei der Vermittlung von Patienten an kompetente Stellen kann hierbei auch eine zentrale telemedizinische Anlaufstelle bieten. Diese könnte auch den niedergelassenen Kinderarzt erheblich entlasten, welcher gerade im Herbst/Winter mit 100 Patienten und mehr pro Tag kaum Kapazität hat, sich um Long COVID Patientinnen und Patienten zu kümmern.
Die Diagnose Long COVID oder ME/CFS muss Zugang zu Sozial Pädiatrischen Zentren (SPZ)/Psychotherapeuten/Psychologen und weiteren Therapeuten erlauben, muss abrechenbar sein sowohl für kurze diagnostische stationäre als auch für längere therapeutische Aufenthalte, muss als Indikation für die Einleitung einer Rehabilitationsmaßnahme (psychisch wie auch somatisch) reichen. Für kaum mobile Patientinnen und Patienten müssen telemedizinische Angebote etabliert und vor allem auch finanziert werden.
Eine ganz gezielte Forschungsförderung von pädiatrischen Projekten ist unabdingbar. Schon jetzt ist klar, dass Long COVID ein medizinisch kaum zu gebrauchender Terminus ist, mit erheblichen Unschärfen in der Diagnose und etlichen verschiedenen zugrundeliegenden Pathomechanismen. Dass in verschiedenen Altersgruppen somit unterschiedliche Pathologien relevant sind, ist zu erwarten und dies bedarf, genauso wie die daraus folgenden Interventionen, der gezielten Erforschung.
Sollten Medikamentenzulassungen erfolgen, die Minderjährige nicht einbeziehen, müssen die entsprechenden Firmen verpflichtet werden, die Erweiterung ihres zugelassenen Altersbereichs auf Kinder und Jugendliche innerhalb eines klar formulierten Zeitraumes nachzuliefern.
Und last but absolut not least: nur ein anhaltend hohes öffentliches Interesse an diesem wichtigen Thema zwingt die Entscheider, die Interessen von kranken Kindern und Jugendlichen in ihrer Wichtigkeit und Relevanz wahrzunehmen. Das ist unser aller Aufgabe.
Vita
Dr. Daniel Vilser ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Subspezialisierungen in Neonatologie und Kinderkardiologie, sowie seit Januar 2023 Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendmedizin im AMEOS Klinikum St. Elisabeth Neuburg und am Standort Ingolstadt. Er ist Gründungsmitglied und Vizepräsident des Ärzte- und Ärztinnenverbandes Long COVID Deutschland. Bis Ende 2022 war er Konsortialführer „LongCOCid“ (einem vom BMBF geförderten Projekt zum Thema Long COVID bei Kindern und Jugendlichen). Darüber hinaus fungierte er als Kongresspräsident des 1. Long Covid Kongresses Deutschlands in Jena 2022
Sein besonderes Forschungsinteresse gilt der endothelialen Dysfunktion nach SARS-CoV-2-Infektion.