Hinweis: Der folgende Text ist ein Gastbeitrag. Er gibt die persönliche Auffassung der Autorin beziehungsweise des Autors wieder. Der Beitrag ist keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums für Gesundheit.

Gastbeitrag: Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen

Die Folgen der Pandemie: Post COVID und ME/CFS

Langanhaltende Beschwerden nach viralen Infektionen sind seit Langem bekannt. Durch die Corona-Pandemie und Long COVID stehen wir hier vor einer neuen Dimension des Problems. Welche Perspektiven es für die Zukunft gibt, beschreibt Prof. Scheibenbogen in einem Gastbeitrag.

Veröffentlicht am 12.07.2023

Porträtfoto Prof Dr. Carmen Scheibenbogen

© Copyright: Simone Baar, Charité

Die Dimension von Long COVID

Viele Infektionen gehen mit postinfektiösen Folgeerkrankungen einher. Das bedeutet langanhaltende oder chronische Symptome, die auftreten, nachdem die akute Phase der Infektion vorbei ist und der Körper das Virus oft schon erfolgreich bekämpft hat. Bei solchen Beschwerden nach Infektionen durch Viren spricht man auch von postviralen Syndromen. Letztere können auch bei verschiedenen anderen Virusinfektionen auftreten, darunter Grippe/Influenza, Epstein-Barr-Virus (EBV), Enteroviren oder Denguevirus. Es ist bekannt, dass sie auch im Anschluss an frühere Epidemien durch Viren gehäuft aufgetreten sind. Die genauen Ursachen für postvirale Syndrome sind noch nicht vollständig verstanden. 

Die Symptome von postviralen Syndromen können vielfältig sein und von Person zu Person variieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören anhaltende, schwere Erschöpfung (=Fatigue), Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Kreislauf- oder Schlafstörungen. Die COVID-19-Pandemie hat uns durch Long COVID mit einer neuen Dimension von postinfektiösen Erkrankungen konfrontiert. Viele Long COVID-Betroffene leiden noch 12 Monate nach der Infektion an Symptomen mit einem hohen Risiko für Chronifizierung, ein Teil davon ist schwer erkrankt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht Stand Juni 2023 davon aus, dass 1 von 30 Europäerinnen und Europäern davon betroffen ist. Für viele dieser Patientinnen und Patienten ist bislang keine heilende Behandlung verfügbar. Die myalgische Enzephalomyelitis beziehungsweise das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine der am stärksten behindernden postinfektiösen Folgeerkrankungen, an der bereits vor der Pandemie schätzungsweise 300.000 Menschen in Deutschland erkrankt waren (Zahlen KBV). 

Forschung zu Long COVID

Durch das pandemische Auftreten von Long COVID gibt es berechtigte Hoffnung, dass die Mechanismen postinfektiöser Erkrankungen durch internationale Forschung zügig aufgeklärt und damit wirksame Therapien entwickelt werden können. Studien zeigen bereits auf, dass eine anhaltende Aktivierung des Immunsystems, Durchblutungsstörungen und virale Persistenz eine Rolle spielen. Weltweit haben klinische Therapiestudien für Post COVID und ME/CFS begonnen. Auch in Deutschland wurde mit Unterstützung des BMBF eine Nationale Klinische Studiengruppe aufgebaut, um Forschung und Therapiestudien zu PCS und ME/CFS „Hand in Hand“ durchzuführen. 

Versorgung von Long COVID

Bislang sind viele Betroffene nicht gut versorgt. Patientinnen und Patienten mit Long COVID haben oft eine Vielzahl von Symptomen und Beeinträchtigungen und viele Ärztinnen und Ärzte sind mit postinfektiösen Erkrankungen nicht gut vertraut. Long COVID-Patientinnen und -Patienten benötigen zunächst eine adäquate und möglichst zeitnahe Diagnostik und oft symptomorientierte Behandlung. Dieses kann am besten durch eine strukturierte Versorgung in einem Netzwerk von Haus- und Fachärztinnen und -ärzten, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Rehakliniken und Spezialambulanzen gelingen. Bundesweit gibt es bereits eine Reihe von Initiativen für solche Netzwerke. Hier sind dringend Konzepte erforderlich, wie diese Versorgungsangebote strukturiert und finanziert werden sollen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), also das Gremium in Deutschland, das im Gesundheitswesen die Aufgabe hat, Richtlinien für die medizinische Versorgung zu erstellen, hat hier den Auftrag, neue Regelungen für eine strukturierte und bessere Versorgung von Betroffenen mit Long COVID und vergleichbaren postinfektiösen Erkrankungen zu beschließen.

Zur Diagnostik und Behandlung von schwerer Erkrankten und zur Therapieforschung sind regionale Kompetenzzentren dringend notwendig. Das BMG hat hierfür eine Finanzierung beim Bundestag beantragt. Darin müssen bundesweit auch Spezialambulanzen für die häufigen postinfektiösen Syndrome (ME/CFS, POTS, neurokognitives Post COVID) entstehen, die bislang am stärksten unterversorgt sind. 

 

Veröffentlicht am 12.07.2023 

Vita

Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen ist Immunologin und Long COVID- und ME/CFS-Forscherin am Institut für Medizinische Immunologie der Charité in Berlin. Sie leitet mehrere klinische Studien und Forschungsprojekte zu Long COVID und ME/CFS. Sie ist ebenfalls Leiterin des Charité Fatigue Centrums und Vorsitzende des Ärztlichen Beirats der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS.

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